Diskriminierende Stellenanzeige der Arbeitsagentur – BAG, 8 AZR 112/03

Der Arbeitgeber haftet für eine diskriminierende Stellenanzeige auch dann, wenn nicht er selbst, sondern die Arbeitsagentur die Stellenanzeige veröffentlicht hat.

Von Andreas Buschmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht

BAG, Urteil vom 05.02. 2004 – 8 AZR 112/03

Vorinstanz:  LAG München, Urteil vom 19.12.2002 – 2 Sa 259/02

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Leitsätze

(Leitsätze von Rechtsanwalt Buschmann)

  1. Geschlechtsdiskriminierende Stellenanzeige nach einer „Anwältin„.
  2. Das Verbot, Stellenbewerber wegen des Geschlechts zu benachteiligen, gilt auch zugunsten von Männern.
  3. Bedient sich der Arbeitgeber zur Stellenausschreibung eines Dritten, etwa der Arbeitsagentur, und verletzt dieser Dritte die Pflicht zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung, so ist dem Arbeitgeber dieses Verhalten in der Regel zuzurechnen. Der Arbeitgeber hat den Wortlaut der Stellenanzeige zu kontrollieren, auch wenn die Stellenanzeige nicht von ihm selbst formuliert wurde.

Zum Sachverhalt

Die Parteien streiten über Entschädigungsansprüche des Klägers wegen einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung bei der Einstellung.

Die Beklagten betreiben eine Rechtsanwaltskanzlei. Mit Schreiben vom 15. September 2000 bewarb sich der Kläger, der zwei juristische Staatsexamen in Bayern abgelegt hat, auf eine Stellenausschreibung, die sich am 12. September 2000 auf der Internetseite des Arbeitsamtes befand und in der die Kanzlei der Beklagten als Arbeitgeberin angegeben war. Über die Stelle hatte der Beklagte zu 1. die Bundesanstalt für Arbeit telefonisch informiert. Die Anzeige trägt die Überschrift „Volljuristin“ und lautet wie folgt:

„STELLENBESCHREIBUNG. Beschreibung. Kenntnisse: Volljur. bzw. Anwältin zur Einarbeitung. Sicheres Auftreten, vorwieg. zivilrechtl. Bereich, Unfallregulierung, Mietrecht, einfache zivilrechtl. Streitigk., Textverarbeitg., * * auch Wiedereinsteigerin * * Betriebsart: Rechtsanwälte – Steuerberater, Arbeitsort: R, Arbeitszeit: Teilzeit, Gehalt/Lohn: n. Vereinb., Frei ab: sofort, Befristet: Nein, Führerschein, Alter: gleich, Stellenanzahl: BKZ, KONTAKT: Arbeitgeber Dr. H & H, R, Rückfragen an: Herr Dr. H, Telefon: … nur schriftliche Bewerbung“.

Mit Schreiben vom 25. September 2000 teilte der Beklagte zu 1. dem Kläger auf seine „Bewerbung als Volljuristin“ mit, dass die Stelle als „Volljuristin“ durch jemand anderen besetzt worden sei. Es sei eine Anwältin eingestellt worden, die in beiden juristischen Staatsprüfungen bessere Ergebnisse als der Kläger erzielt habe.

Mit Schreiben vom 7. Oktober 2000 verlangte der Kläger ohne Erfolg von den Beklagten wegen einer Geschlechtsdiskriminierung Schadensersatz in Höhe von 9.000,00 DM.

Der Kläger hat ausgeführt, ein Schadensersatzanspruch sei auf Grund einer Geschlechtsdiskriminierung begründet.

….

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt. … Das Geschlecht des Bewerbers habe bei der Einstellung keine Rolle gespielt. Dies ergebe sich daraus, dass die Kanzlei weitere Männer beschäftige bzw. beschäftigt habe. So bestehe eine Zusammenarbeit mit einem männlichen Rechtsanwalt in Salzburg. Auch sei einmal ein Rechtsanwalt zur Probe eingestellt gewesen und aus anderen Gründen wieder ausgeschieden. Im Übrigen seien sie für die Formulierung der Ausschreibung des Arbeitsamtes im Internet trotz der detaillierten Angaben der Anzeige nicht verantwortlich. Das Arbeitsamt sei nicht beauftragt worden, ausschließlich eine Volljuristin zu suchen. Das ergebe sich auch aus einem späteren Schreiben des Beklagten zu 1. vom 21. Februar 2001 an das Arbeitsamt. Auswahlkriterium sei in erster Linie die sich aus den Examensnoten ergebende bessere Qualifikation gewesen. Die Bezeichnung des Klägers als Volljuristin im Ablehnungsschreiben vom 25. September 2000 beruhe auf einem Schreibversehen einer Bürokraft.

Aus der Entscheidungsbegründung

Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Entschädigung gem. § 611a Abs. 2 BGB, denn die Beklagten haben gegen das in § 611a Abs. 1 BGB geregelte Diskriminierungsverbot verstoßen.

b) Der Kläger wurde bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses wegen seines Geschlechts iSv. § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB benachteiligt und hat deshalb einen Anspruch auf Entschädigung gem. § 611a Abs. 2 BGB. Die Beklagten haben die Vermutung der Benachteiligung des Klägers wegen des Geschlechts nicht entkräftet.

Nach § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer ua. bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen. Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts ist nur dann zulässig, soweit eine Vereinbarung oder eine Maßnahme die Art der vom Arbeitnehmer auszuübenden Tätigkeit zum Gegenstand hat und ein bestimmtes Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für diese Tätigkeit ist (§ 611a Abs. 1 Satz 2 BGB).

aa) Der Kläger hat dargelegt, dass er als Mann im Bewerbungsverfahren nicht berücksichtigt worden ist und die Stelle als Rechtsanwalt nicht erhalten hat. Da zudem das weibliche oder männliche Geschlecht keine unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs ist, ist der Ausnahmefall einer zulässigen Diskriminierung nach § 611a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gegeben.

bb) Der Kläger hat gem. § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB Tatsachen glaubhaft gemacht, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen.

(2) Als Indiz, welches zur Begründung einer Geschlechterdiskriminierung herangezogen werden kann, ist zunächst eine gegen § 611b BGB verstoßende, dh. geschlechtsspezifische Stellenausschreibung anzusehen (BVerfG 16. November 1993 – 1 BvR 258/86 – BVerfGE 89, 276 = AP BGB § 611a Nr. 9 = EzA BGB § 611a Nr. 9; BAG 27. April 2000 – 8 AZR 295/99  –; ErfK/Schlachter BGB § 611bRn. 4). Ein solcher Verstoß begründet grundsätzlich die Vermutung, dass ein Arbeitnehmer eines bestimmten Geschlechts, unabhängig davon, ob noch andere Gründe für die Einstellungsentscheidung maßgeblich waren, wegen seines Geschlechts benachteiligt worden ist. Im Streitfall war die Stellenausschreibung nur an Frauen gerichtet. In der Ausschreibung wurden dreimal geschlechtsspezifische Formulierungen verwendet, nämlich die Begriffe Volljuristin, Anwältin, Wiedereinsteigerin.

Diese Stellenausschreibung ist den Beklagten zuzurechnen, so dass bereits hiernach eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Benachteiligung aus geschlechtsspezifischen Gründen gegeben ist.

Doch selbst wenn man der Behauptung des Beklagten zu 1. Glauben schenkt, wonach nicht er die geschlechtsspezifische Form veranlasst hat, sondern das Arbeitsamt diese aus eigenem Antrieb gewählt hat, ändert dies aus Rechtsgründen nichts an der Zurechnung. Primärer Adressat der Pflicht zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung nach § 611b BGB ist der Arbeitgeber. Bedient sich der Arbeitgeber zur Stellenausschreibung eines Dritten, zum Beispiel eines Stellenvermittlers, wie hier der Bundesanstalt (jetzt Bundesagentur) für Arbeit, und verletzt ein so eingeschalteter Dritter die Pflicht zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung, so ist diese Pflichtverletzung dem Arbeitgeber zuzurechnen. Den Arbeitgeber trifft im Falle der Fremdausschreibung die Sorgfaltspflicht, die Ordnungsmäßigkeit der Ausschreibung zu überwachen. Dies gilt nicht nur im Falle der Einschaltung eines Personalberatungsunternehmens, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber sich zur Ausschreibung der Hilfe der Bundesanstalt für Arbeit bedient (ErfK/Schlachter BGB § 611b Rn. 2; Soergel-Raab BGB 12. Aufl. § 611b Rn. 3; Staudinger/Richardi/Annuß BGB § 611b Rn. 4).

Link zum Volltext

https://lexetius.com/2004,929

Anmerkung zum Urteil von Rechtsanwalt Buschmann:

Worum geht es?

Wird ein Stellensbewerber nicht eingestellt, und spielte das Geschlecht eine Rolle bei der Einstellung Entscheidung, dann kann dem abgewiesenen Stellenbewerber ein Anspruch auf eine Entschädigung Zustehen.

Indiz für eine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts kann der Text einer Stellenanzeige oder Stellenausschreibung sein. Eine Stellenanzeige, mit der lediglich weibliche Stellenbewerber gesucht werden, ist ein Indiz für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts, wenn ein Mann sich auf die Stelle bewirbt und abgewiesen wird.

Hieran ändert es nichts, wenn die Arbeitsagentur oder eine andere Stelle für den Arbeitgeber die Stellenanzeige aufgegeben hat. Dies begründet das Bundesarbeitsgericht damit, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Stellenanzeige nachzuprüfen.

Schlussfolgerungen

Arbeitgeber müssen Stellenanzeigen kontrollieren.

Dies dürfte insbesondere von Bedeutung sein, wenn die Stellenanzeigen über Portale, Headhunter oder die Arbeitsagentur aufgegeben werden.

Arbeitnehmer können sich auf diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts berufen. Arbeitgeber können im Entschädigungsprozess vor den Arbeitsgerichten nicht mehr erfolgreich einwenden, sie hätten mit der Stellenanzeige nicht zu tun, weil die Formulierung der Stellenanzeige von einem Außenstehenden stammt.

Einzelheiten zur Diskriminierung in Stellenanzeigen können Sie auf dieser Website im Artikel Stellenanzeige & Arbeitgeber-Haftung nachlesen.