35.000 Euro Entschädigung für Mobbing – ArbG Dresden, 5 Ca 5954/02

Mobbing: 15.000 Euro Schmerzensgeld + 25.000 Euro Entschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts: ArbG Dresden, Urteil vom 07.07.2003, 5 Ca 5954/02

Von Andreas Buschmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht

ArbG Dresden, Urteil vom 07.07.2003 – 5 Ca 5954/02

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Leitsätze

(Leitsätze formuliert von Rechtsanwalt Buschmann)

  1. Nach dem arbeitsrechtlichen Verständnis erfasst der Begriff „Mobbing“ fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, Anfeindungen, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die nach Art und Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder andere ebenso geschützte Rechte, wie die Ehre und die Gesundheit des Betroffenen verletzen (Bestätigung von LAG Thüringen v. 15.02.2001, 5 Sa 102/00, AuR 2002, 226 m. Anm. Etzel; Urt. v. 10.04.2001, 5 Sa 403/00; LAG Hamm v. 25.06.2002, 18 (11) Sa 1295/01) )
  2. Als Mobbing ist zu werten, wenn dem Arbeitnehmer in 20 Fällen vor Augen geführt worden ist, dass er in seinem Arbeitsbereich nicht erwünscht war, der Leistungswille des Arbeitnehmers missachtet wird, seine berufliche Entfaltung entsprechend seinen Fähigkeiten behindert wird, es wiederholt zu störenden Eingriffen in die Arbeit kommt, die erbrachte Arbeitsleistung nicht anerkannt wird und es zur Diskreditierung gegenüber Dritten kommt.
  3. Auch in Zeiten anhaltenden Arbeitsdrucks ist es einem Vorgesetzten verwehrt, über ein erträgliches Maß hinaus mit Misslaunigkeit, Kurzangebundenheit oder gar offenen Anfeindungen gegenüber den ihm unterstellten Mitarbeitern seine Überlastung zu demonstrieren.
  4. Das Kriterium des „systematischen Handelns“ bei Mobbing setzt nicht bestimmte Motive des Mobbing-Täters voraus. Ebenso wenig muss es zum Eintritt eines vom Mobber erhofften Zwecks (z.B. Eigenkündigung des Arbeitnehmers) führen. Zur Begründung zielgerichteten Vorgehens genügt die Darstellung eines typischen Geschehensablaufs, der mindestens bei Gesamtbetrachtung aller Umstände zu dem Ergebnis führt, dass das Verhalten von der Rechtsordnung nicht mehr gerechtfertigt wird.Typsicherweise ist bei einem solchen Geschehensablauf festzustellen, dass einzelne Gemeinheiten und Unverschämtheiten intensiviert werden bis zu einer Häufigkeit, mit der das Opfer regelmäßigem Psychoterror ausgesetzt ist, was häufig zu einer Verschlechterung der seelischen und körperlichen Gesundheit, über Schlaflosigkeit, Erschöpfung, psychosomatischen Störungen, Depressionen, traumatischen Ängsten und ernsthaften körperlichen Erkrankungen, im Einzelfall bis zum Selbstmord (Versuch) führen kann. Ein solches Erscheinungsbild ist als rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers im Sinne von Art. 1 (Schutz der Menschenwürde) und Art. 2 (freie Entfaltung der Persönlichkeit) GG zu qualifizieren.
  5. Der Arbeitgeber haftet dem Mobbing-Opfer für unerlaubte Handlungen seiner Mitarbeiter gemäß § 823 I BGB i.V.m. § 278 BGB. In Bezug auf seine Haftungsverpflichtung ist der Arbeitgeber so zu behandeln, als hätte er die Handlungen des Mobbing-Täters selbst vorgenommen. Infolge einer den Wertorientierungen des Grundgesetzes entsprechenden Anwendung des § 242 BGB trifft den Arbeitgeber die Verpflichtung, die bei ihm beschäftigten nicht durch Eingriffe in deren allgemeines Persönlichkeitsrecht zu verletzten. Verletzt der Arbeitgeber selbst das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines bei ihm beschäftigten Arbeitnehmers, so liegt darin nicht nur eine unerlaubte Handlung sondern zugleich ein Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Nebenpflichten (BAG v. 04.04.1990, 5 AZR 299/89, LAG Thüringen v. 10.04.2001, 3 Sa 403/00). Den Arbeitgeber trifft infolge dieser Wertorientierung die Verpflichtung, einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und damit vor Mobbing durch andere Beschäftigte oder außenstehende Dritte, auf die er Einfluss hat, zu schützen.
  6. Da die systematische Persönlichkeitsrechtsverletzung in Form von Mobbinghandlungen des Arbeitgebers eine Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten darstellt, besteht nicht nur eine Haftung aus § 823 BGB sondern auch eine Haftung wegen positiver Vertragsverletzung. Ist der Arbeitgeber eine juristische Person, haftet er für das Handeln seiner sonstigen Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB. Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers sind dabei alle für den Arbeitgeber tätigen Personen. Hiernach hat der Schuldner kann dem Mobbing-Opfer sowohl wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts als auch wegen Gesundheitsschäden Schadensersatz und Schmerzensgeld zu leisten haben (§ 823 I BGB, § 847 I BGB a.F.).
  7. Dem Mobbing-Opfer kann wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts als auch wegen Gesundheitsschäden ein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen Mobbing-Täter und den Arbeitgeber und zustehen (§ 823 I BGB, §847 I BGB a.F.). Mit dem Schmerzensgeld soll das Ausmaß der Lebensbeeinträchtigung, der Umfang und die Schwere der physischen und psychischen Störungen, die Heftigkeit des Leidens und der Schmerzen und die Auswirkungen auf die Arbetisfähigkeit und die Familie berücksichtigt werden. Hierbei kann ins Gewicht fallen, wenn es sich nicht um eine einmalige kurzzeitige Erkrankung handelt, deren Behandlung in absehbarer Zeit zu einem messbaren Erfolg führen kann. Außerdem ist zu berücksichtigen, wenn Wiederholungen der Therapien weitere physische und psychische Kraftanstrengungen erfordern. Ein Schmerzensgeld von 15.000 Euro kann als Mindestbetrag gerechtfertigt sein.
  8. Darüberhinaus kann dem Mobbing-Opfer bei einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts gegen den Mobber und den Arbeitgeber ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts zustehen. Der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts folgt aus einer dem Schutzauftrag der Artikel 1 und 2 GG entsprechenden Anwendung des § 823 I BGB. § 253 II BGB n. F. weist ausdrücklich darauf hin, dass im Falle der widerrechtlichen Einschränkung von Persönlichkeitsrechten auch Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, nach billigem Ermessen in Geld zu entschädigen ist. Ein solcher Anspruch ist deshalb zu gewähren, weil bei Fehlen einer entsprechenden Sanktion der Rechtsschutz wegen Verletzung der Persönlichkeit ins Leere laufen würde. Eine Entschädigung von 25.000 Euro kann gerechtfertigt sein.

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https://dejure.org/2003,11428