Disziplinarmaßnahmen für Mobbing bei Bundeswehr – BVerwG, 2 WD 38.01

Bundesverwaltungsgericht: Mobbing durch Vorgesetzte bei der Bundeswehr verstößt gegen die soldatenrechtliche Fürsorgepflicht.

Von Andreas Buschmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht

BVerwG, Urteil vom 11.06.2002 – 2 WD 38.01

Vorinstanz: Truppendienstgericht Süd

Schlagwörter

Leitsätze

(Leitsätze formuliert von Rechtsanwalt Buschmann)

  1. Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar; sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dieses Gebot gilt auch für die Streitkräfte als Teil der Exekutive und bedarf im militärischen Bereich mit seiner streng hierarchischen Gliederung sogar besonderer Beachtung. Welche Bedeutung der Gesetzgeber dem Schutz Untergebener beimisst, ergibt sich aus der Tatsache, dass die Misshandlung und entwürdigende Behandlung Untergebener mit Freiheitsstrafe bedroht sind (§§ 30, 31 WStG).
  2. Die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) gehört zu den vornehmsten Pflichten eines Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen, die das Gefühl haben müssen, dass sie vom Vorgesetzten nicht nur als Befehlsempfänger betrachtet, sondern in ihrer Personenwürde geachtet und mit menschlicher Rücksichtnahme behandelt werden. Die Kameradschaftspflicht ist nicht minder wichtig; denn „der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft“ (§ 12 Satz 1 SG).
  3. Ein Vorgesetzter, der Untergebene körperlich misshandelt oder entwürdigend behandelt, begeht nicht nur eine Wehrstraftat, sondern auch eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung. Eine unwürdige, demütigende oder ehrverletzende Behandlung Untergebener ist für einen Soldaten in Vorgesetztenstellung stets ein sehr ernst zu nehmendes Fehlverhalten; sie verstößt gegen die Wehrverfassung der Bundesrepublik Deutschland und gegen die Prinzipien der Inneren Führung der Bundeswehr.
  4. Ein Offizier oder Portepee-Unteroffizier, der einen Untergebenen körperlich misshandelt, entwürdigt, demütigt oder ihm in vorwerfbarer Weise, insbesondere böswillig, den Dienst erschwert, disqualifiziert sich in seiner Vorgesetztenstellung, auch wenn für den Betroffenen daraus keine unmittelbare gesundheitliche Beeinträchtigung resultiert. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat daher in Fällen einer Misshandlung, entwürdigenden oder demütigenden Behandlung von Untergebenen – auch aus generalpräventiven Gründen – eine „reinigende Maßnahme“ Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu sein (vgl. Urteile vom 12. Juli 1990 – BVerwG 2 WD 4.90 – , vom 12. Juni 1991 – BVerwG 2 WD 53, 54.90 – , vom 20. August 1991 – BVerwG 2 WD 14.91 – , vom 18. März 1997 – BVerwG 2 WD 29.95 – m.w.N. und vom 19. Juli 2000 – BVerwG 2 WD 6.00 -).
  5. Die erforderliche und angemessene Maßnahmeart ist in derartigen Fällen eines Fehlverhaltens zu Lasten Untergebener je nach seiner Eigenart, Schwere und seinen Auswirkungen regelmäßig die Herabsetzung im Dienstgrad. Soweit es sich um das Versagen eines Soldaten auf Zeit in Vorgesetztenstellung handelt, ist regelmäßig die Herabsetzung in einen Mannschaftsdienstgrad in Betracht zu ziehen, und soweit es sich um einen Berufssoldaten handelt, kann seine Disqualifikation als Vorgesetzter unter Umständen zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis führen. Wie der Senat wiederholt hervorgehoben hat, bedarf es in diesen Fällen erheblicher Milderungsgründe, um die Dienstgradherabsetzung lediglich auf einen Dienstgrad zu beschränken oder um von ihr überhaupt absehen zu können.

Zum Sachverhalt

Ein Oberstabsfeldwebel im Dienstverhältnis eines Berufssoldaten wurde von der Truppendienstkammer eines Dienstvergehens für schuldig befunden und unter Verkürzung der Frist für die Wiederbeförderung auf zwei Jahre in den Dienstgrad eines Stabsfeldwebels herabgesetzt.

Auf die Berufung des Soldaten änderte der Senat das Kammerurteil im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme und verhängte gegen ihn ein Beförderungsverbot für die Dauer von zwei Jahren.

Aus der Entscheidungsbegründung

Das Dienstvergehen wiegt schwer. Denn eine unwürdige, demütigende oder ehrverletzende Behandlung Untergebener ist für einen Soldaten in Vorgesetztenstellung stets ein sehr ernst zu nehmendes Fehlverhalten; sie verstößt gegen die Wehrverfassung der Bundesrepublik Deutschland und gegen die Prinzipien der Inneren Führung der Bundeswehr. Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar; sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dieses Gebot gilt auch für die Streitkräfte als Teil der Exekutive und bedarf im militärischen Bereich mit seiner streng hierarchischen Gliederung sogar besonderer Beachtung. Welche Bedeutung der Gesetzgeber dem Schutz Untergebener beimisst, ergibt sich aus der Tatsache, dass die Misshandlung und entwürdigende Behandlung Untergebener mit Freiheitsstrafe bedroht sind (§§ 30, 31 WStG). Ein Vorgesetzter, der Untergebene körperlich misshandelt oder entwürdigend behandelt, begeht nicht nur eine Wehrstraftat, sondern auch eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung (vgl. Urteile vom 2. Juli 1987 – BVerwG 2 WD 19.87 – , vom 6. Mai 1992 – BVerwG 2 WD 49.91 – , vom 21. Juli 1993 – BVerwG 2 WD 13.93 -, vom 28. Januar 1999 – BVerwG 2 WD 17.98 – , vom 19. Juli 2000 – BVerwG 2 WD 6.00 – und vom 17. Oktober 2000 – BVerwG 2 WD 12.00, 13.00 – ).

Die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) gehört zu den vornehmsten Pflichten eines Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen, die das Gefühl haben müssen, dass sie vom Vorgesetzten nicht nur als Befehlsempfänger betrachtet, sondern in ihrer Personenwürde geachtet und mit menschlicher Rücksichtnahme behandelt werden. Die Kameradschaftspflicht ist nicht minder wichtig; denn „der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft“ (§ 12 Satz 1 SG). Die dienstlichen Aufgaben erfordern im Frieden und in noch höherem Maße im Verteidigungsfall gegenseitiges Vertrauen und das Bewusstsein, sich bedingungslos aufeinander verlassen zu können. Ein Vorgesetzter, der die Rechte, die Ehre oder die Würde seiner Kameraden verletzt, untergräbt den dienstlichen Zusammenhalt, stört den Dienstbetrieb und beeinträchtigt damit letztlich auch die Einsatzbereitschaft der Truppe (vgl. Urteile vom 23. November 1989 – BVerwG 2 WD 50.86 – , vom 18. Juli 1995 – BVerwG 2 WD 32.94 – und vom 10. November 1998 – BVerwG 2 WD 4.98 – ). Ein derartiges Fehlverhalten gegenüber Kameraden hat nichts mit militärisch notwendiger Härte oder mit Kameradschaft zu tun, sondern zerstört die Autorität des Vorgesetzten, das gegenseitige Vertrauen und die Bereitschaft, füreinander einzustehen (vgl. Urteile vom 2. Juli 1987 – BVerwG 2 WD 19.87 – ). Nur auf Überzeugung und Vertrauen baut der Gehorsam auf, dessen die Bundeswehr im Allgemeinen bzw. ein Vorgesetzter innerhalb des militärischen Gefüges im Besonderen bedarf. Pflichtverletzungen der vorliegenden Art sind daher dem militärischen Zusammenhalt und der Funktionsfähigkeit der Truppe in hohem Maße abträglich und werden von der Öffentlichkeit regelmäßig mit Befremden zur Kenntnis genommen. Dies gilt auch für einen Vorgesetzten, der entgegen der Regelung des § 17 Abs. 2 Satz 1 SG seine Dienstpflicht zur Achtungs- und Vertrauenswahrung im Dienst aufs Spiel setzt und gegebenenfalls verletzt.

Für die Feststellung eines Dienstvergehens kommt es nicht darauf an, in welcher Form ein Soldat den Tatbestand der Demütigung oder Erniedrigung Dritter verwirklicht hat. Es genügen schon verbale Äußerungen, um die dienstliche Autorität des Vorgesetzten zu untergraben, die Gehorsamsbereitschaft seiner Untergebenen zu beeinträchtigen und das Vertrauen zu zerstören, dass er als Vorgesetzter gerecht, unparteiisch und sachlich seinen Dienst verrichtet (vgl. Urteil vom 10. November 1998 – BVerwG 2 WD 4.98 – ). Ferner ist es unerheblich, ob die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit des Vorgesetzten durch das angeschuldigte Verhalten tatsächlich ernsthaft beeinträchtigt wurde; vielmehr kommt es darauf an, ob dieses dazu geeignet war (vgl. Urteile vom 6. Dezember 1988 – BVerwG 2 WD 11.88 – m.w.N., vom 29. Januar 1991 – BVerwG 2 WD 18.90 – m.w.N. und vom 10. November 1998 – BVerwG 2 WD 4.98 – ).

Ein Offizier oder Portepee-Unteroffizier, der einen Untergebenen körperlich misshandelt, entwürdigt, demütigt oder ihm in vorwerfbarer Weise, insbesondere böswillig, den Dienst erschwert, disqualifiziert sich in seiner Vorgesetztenstellung, auch wenn für den Betroffenen daraus keine unmittelbare gesundheitliche Beeinträchtigung resultiert. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat daher in Fällen einer Misshandlung, entwürdigenden oder demütigenden Behandlung von Untergebenen – auch aus generalpräventiven Gründen – eine „reinigende Maßnahme“ Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu sein (vgl. Urteile vom 12. Juli 1990 – BVerwG 2 WD 4.90 – , vom 12. Juni 1991 – BVerwG 2 WD 53, 54.90 – , vom 20. August 1991 – BVerwG 2 WD 14.91 – , vom 18. März 1997 – BVerwG 2 WD 29.95 – m.w.N. und vom 19. Juli 2000 – BVerwG 2 WD 6.00 -). Die erforderliche und angemessene Maßnahmeart ist in derartigen Fällen eines Fehlverhaltens zu Lasten Untergebener je nach seiner Eigenart, Schwere und seinen Auswirkungen regelmäßig die Herabsetzung im Dienstgrad. Soweit es sich um das Versagen eines Soldaten auf Zeit in Vorgesetztenstellung handelt, ist regelmäßig die Herabsetzung in einen Mannschaftsdienstgrad in Betracht zu ziehen, und soweit es sich um einen Berufssoldaten handelt, kann seine Disqualifikation als Vorgesetzter unter Umständen zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis führen. Wie der Senat wiederholt hervorgehoben hat, bedarf es in diesen Fällen erheblicher Milderungsgründe, um die Dienstgradherabsetzung lediglich auf einen Dienstgrad zu beschränken oder um von ihr überhaupt absehen zu können (vgl. Urteile vom 20. August 1991 – BVerwG 2 WD 14.91 – , vom 18. März 1997 – BVerwG 2 WD 29.95 – m.w.N. und vom 19. Juli 2000 – BVerwG 2 WD 6.00 -). Denn das Gebot, die Würde, die Ehre und die Rechte von Kameraden zu achten, ist nicht um des einzelnen Soldaten willen in das Soldatengesetz aufgenommen worden, sondern soll Handlungsweisen verhindern, die objektiv geeignet sind, den militärischen Zusammenhalt und mithin das gegenseitige Vertrauen sowie die Bereitschaft zum gegenseitigen Einstehen zu gefährden (vgl. Urteile vom 20. Mai 1981 – BVerwG 2 WD 9.80 – , vom 20. August 1991 – BVerwG 2 WD 14.91 – , vom 18. März 1997 – BVerwG 2 WD 29.95 – und vom 19. Juli 2000 – BVerwG 2 WD 6.00 -).

Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 9. Februar 1993 – BVerwG 2 WD 24.92 – und vom 28. Januar 1999 – BVerwG 2 WD 17.98 – ) ist es daher unerheblich, welche Absichten der Soldat mit einem den Betroffenen demütigenden oder gesundheitlich beeinträchtigenden Fehlverhalten verfolgt oder ob eine Misshandlung im konkreten Einzelfall insgesamt noch glimpflich ausgegangen ist; denn der Gedankenlosigkeit, Leichtfertigkeit und billigenden Inkaufnahme von Verstößen gegen die Fürsorge- und Kameradschaftspflicht darf nicht dadurch Vorschub geleistet werden, dass die disziplinare Maßregelung von deren Ausgang abhängig gemacht wird. Dies würde sonst dazu beitragen, dass Verantwortungslosigkeit in der Truppe um sich greifen und letztlich der unzutreffende Eindruck erweckt werden würde, in der Bundeswehr werde die unantastbare Menschenwürde von Untergebenen verletzt. Allerdings folgt hieraus im Umkehrschluss, dass es für die Einstufung des Dienstvergehens nach Eigenart, Schwere und Umfang darauf ankommt, ob und inwieweit das Fehlverhalten objektiv dazu geeignet war, den betroffenen Untergebenen und Kameraden seelisch oder körperlich zu beeinträchtigen, und ob diese Beeinträchtigung gegebenenfalls nachwirkt. Eine sadistische oder menschenverachtende Einstellung des Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen wirkt sich darüber hinaus erschwerend aus.

Hiernach liegt der Schwerpunkt des Dienstvergehens in der vorgeworfenen Nötigung des damaligen Gefreiten T., dem der Soldat „den rechten Arm um die Schulter legte“, den er „in gebeugter Haltung auf den Flur führte, wo er die an den Stubentüren angebrachten Belegungsübersichten vorlesen musste oder der Soldat sie selbst vorlas“ und auf diese Weise vor mehreren Kameraden der Lächerlichkeit preisgab. Darauf, ob der Griff, mit dem der Soldat den Zeugen T. gebeugt hielt, im Sinne der Anschuldigungsschrift als „Schwitzkasten“ anzusehen war, was der Zeuge K. ausdrücklich verneint hat, ist das Kammerurteil in der tatsächlichen Würdigung nicht eingegangen, obwohl dies ausdrücklich angeschuldigt war, sodass es einen solchen Vorwurf (Anwendung eines Schwitzkastens gegenüber dem Zeugen T.) weder seiner rechtlichen Würdigung noch seinen Zumessungserwägungen zugrunde gelegt hat; im Übrigen hat der Zeuge dem Soldaten – unwiderlegt – keinen körperlichen und verbalen Widerstand geleistet, mit der Folge, dass nicht feststeht, ob ihm, wie bei einem Schwitzkasten üblich, etwa die Luftzufuhr abgedrückt und/oder Schmerzen zugefügt wurden.

Zugunsten des Soldaten fällt außerdem ins Gewicht, dass er sich bei dem Zeugen T. vor versammelter Mannschaft im Unterrichtsraum der Einheit entschuldigt und damit jedenfalls den ernsthaften Versuch unternommen hat, dessen Demütigung im Kameradenkreis dadurch auszugleichen, dass er ihm eine verbale Genugtuung vor demselben „Publikum“ gegeben hat. Wenngleich der Anstoß für diese Entschuldigung vom Kommandeur der Einheit – nach Eingang der Beschwerde des Zeugen T. – kam und der Zeuge die Entschuldigung als unzureichenden Ausgleich ansah, weil er sich anschließend noch an die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages wandte, ist dem Soldaten zugute zu halten, dass er jedenfalls eine Form der Entschuldigung gewählt hat, die dem Zeugen T. als Versöhnung hätte ausreichen können und dieses Ergebnis auch erreichen sollte.

Erschwerend ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Soldat seine Befehlsbefugnis missbraucht hat, indem er die Weisung erteilte, eine liegengelassene Nässeschutzjacke von nicht unerheblichem Wert zurückzubehalten, die dem Berechtigten erst gegen eine Spende für das Soldatenhilfswerk herausgegeben werden sollte. Der Umstand, dass der Soldat – nach seiner Einlassung in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung – damit eine erzieherische Intention verfolgte, weil diese Spende nicht der persönlichen Bereicherung von Kameraden, sondern einem „guten“ Zweck dienen sollte und die Vermögensgefährdung des Betroffenen verhältnismäßig gering einzustufen war, rechtfertigt kein derartiges Fehlverhalten gegenüber dem Verlierer der Nässeschutzjacke, auch wenn dessen Gewicht insgesamt in einem milderen Licht erscheint. Denn das vom Soldaten veranlasste rechtsmissbräuchliche Vorgehen der Geschäftszimmersoldaten hat bei Untergebenen und Kameraden des Soldaten Unruhe und Verunsicherung hervorgerufen und damit negative Auswirkungen auf den Dienstbetrieb gehabt. Der Soldat hat sich zwar dahin eingelassen, er habe den Geschäftszimmersoldaten nicht „befohlen“, dem Betroffenen Geld „abzuknöpfen“, aber zum Ausdruck gebracht, dass die Jacke dem Berechtigten nur gegen eine Spende für das Soldatenhilfswerk herausgegeben werden sollte. Aufgrund seiner Ausbildung ist zu seinen Lasten davon auszugehen, dass er in Kenntnis und vollem Bewusstsein der Rechtslage handelte, nämlich dass es sich insoweit um ein rechtsmißbräuliches Verhalten zu Lasten des Betroffenen handelte.

Hingegen kann dem herabwürdigenden Tadel bzw. den völlig unangemessenen Bemerkungen kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden. Soweit sich der Soldat dem Zeugen F. gegenüber im Ton vergriffen hat, indem er ihn zunächst wegen mangelhafter Deutschkenntnisse lautstark angefahren hat, hat er dies nicht mit persönlich entwertenden oder beleidigenden Bemerkungen getan, sondern sich sodann sachlich mit dem Anliegen des Zeugen befasst; er hat den Zeugen auch nicht vor Dritten bloßgestellt, da der im Vorzimmer sitzende Zeuge M. zwar die erhöhte Lautstärke wahrgenommen, den Wortlaut als solchen jedoch erst später vom Zeugen F. erfahren hat. Des Weiteren hatten die Bemerkungen des Soldaten zum allgemeinen Verhalten beim Zapfenstreich und zum Zustand des Duschhandtuchs zwar einen sexistischen Bezug, waren aber erkennbar nicht in der Absicht geäußert, die anwesenden Zeugen sexuell zu bedrängen oder sich ihnen zu nähern, und wurden von diesen auch nicht so aufgefasst.

Nicht jede unfreundliche, unangemessene, grob geschmacklose Bemerkung oder jeder „lockere“ Spruch, die die gebotene Zurückhaltung vermissen lassen, ist bereits Ausdruck der Missachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, und verletzt damit den sozialen Wert- und Achtungsanspruch des Betroffenen. Die Einschätzung, ob hierin eine erniedrigende Behandlung liegt, wird vielmehr durch die erkennbar gewordene subjektive Zielrichtung mitbestimmt, die der Äußerung zugrunde liegt (vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1970, – 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68 und 308/69 – , Zippelius in: Bonner Kommentar Art. 1 Abs. 1 und 2 GG, RNr. 62). Im Übrigen kann der Einzelne über seinen Achtungsanspruch weitgehend, wenn auch nicht grenzenlos, selbst verfügen (Zippelius in: a.a.O. RNrn. 81, 40), sodass eine Äußerung nicht losgelöst vom konkreten Empfängerhorizont, der in aller Regel durch das Umfeld, die Üblichkeit eines bestimmten Umgangstons und die persönliche Empfindlichkeit beeinflusst wird, zu bewerten ist. Wenn Adressaten eine Bemerkung nicht als ehrverletzend oder demütigend, sondern gar als „witzig“ empfunden bzw. darauf überhaupt nicht reagiert haben, kann ohne weitergehende Anhaltspunkte nicht von einer erniedrigenden Behandlung der Adressaten ausgegangen werden, selbst wenn der Soldat im Dienst damit zweifelsfrei den – der ihm entgegengebrachten Achtung angemessenen – Ton verfehlt hat. Diese Interpretation des Art. 1 Abs. 1 GG hat auch in der Regelung des Art. 10 § 2 Abs. 2 Nr. 2 Zweites Gleichberechtigungsgesetz vom 24. Juni 1994 (BGBl. I 1994, S. 1406 [1412/13]) Ausdruck gefunden, soweit dort von „Bemerkungen sexuellen Inhalts, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden“, als einer Ausprägung sexuell bestimmten Verhaltens die Rede ist.

Erschwerend fällt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 10. Juli 1996 – BVerwG 2 WD 5.96 – und vom 23. April 1997 – BVerwG 2 WD 42.96 – ) ferner ins Gewicht, dass das dem Soldaten vorgeworfene Fehlverhalten zur Ablösung von seinem Dienstposten geführt und damit nachteilige Auswirkungen auf die Personalplanung und -führung verursacht hat.

Demgegenüber hatte der Senat zugunsten des Soldaten erhebliche Tatmilderungsgründe zu berücksichtigen. Sie liegen nach seiner ständigen Rechtsprechung dann vor, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Umständen gekennzeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Hierunter fallen u. a. die unbedachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten (vgl. Urteile vom 9. März 1995 – 2 WD 1.95 – m.w.N., vom 24. Januar 1996 – 2 WD 26.95 – und vom 18. März 1997 – 2 WD 29.95 – sowie ein Handeln in einer körperlichen oder seelischen Ausnahmesituation (vgl. Urteile vom 15. Oktober 1986 – BVerwG 2 WD 30.86 -, vom 14. November 1996 – 2 WD 31.96 – und vom 1. September 1997 – BVerwG 2 WD 13.97 – ) bzw. eine außergewöhnliche situationsbedingte Erschwernis der Erfüllung des Auftrags (Urteil vom 28. Januar 1999 – BVerwG 2 WD 17.98 – ).

Das angeschuldigte Fehlverhalten des Soldaten stellt sich im Hinblick auf die langjährige untadelige Führung des Soldaten und den Handlungsablauf am 22. November 1999 als unbedachte Augenblickstat dar. In seinen Beurteilungen wird der Soldat zwar teilweise als unbequemer Vorgesetzter charakterisiert, gleichzeitig aber durchweg auch sein kameradschaftliches Engagement hervorgehoben, das auch in den ihm erteilten förmlichen Anerkennungen Ausdruck gefunden hat. Insbesondere ergeben sich – auch im Hinblick auf die übrigen Anschuldigungspunkte – keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er sich bösartig oder schikanös verhalten hat. Die Verdienste und das Ansehen, die sich der Soldat im ehemaligen Kameradenkreis erworben hat, haben vielmehr sowohl zu kollektiven als auch individuellen Solidaritätsbekundungen geführt, die dafür sprechen, dass er sich gegenüber seinen Untergebenen ansonsten korrekt verhalten oder sogar ihr Vertrauen in besonderem Maße erworben hat. Hinzu kamen die besonderen Umstände des 22. November 1999, an dem die Übungswoche auf dem Truppenübungsplatz S. begann. Der für die gesamte Organisation im Wesentlichen allein zuständige Soldat, dem die örtlichen Besonderheiten des Truppenübungsplatzes nicht mehr geläufig waren und der sich deshalb überfordert fühlte, hatte insbesondere mit einer Vielzahl witterungsbedingter und organisatorischer Schwierigkeiten zu kämpfen, die den Vertreter seines Batteriechefs als Vorgesetzten zu einer kritischen Bemerkung ihm gegenüber veranlassten. Die daraus resultierende Verärgerung des Soldaten, der nach Aussage des Leumundszeugen gerne alles „ordnungsgemäß und sauber“ erledigte, entlud sich sodann in einer spontanen Überreaktion, als ihm gemeldet wurde, dass der damalige Obergefreite T. trotz genauer namentlicher Beschilderung in eine falsche Stube eingezogen war. Der Soldat fasste daher das Verhalten des Zeugen, der seinen Vorgesetzten bereits des öfteren Anlass zu Ärger gegeben hatte, als Provokation auf und brachte das mit der Äußerung „Wie immer T.!“ auch zum Ausdruck, „griff“ ohne Zögern rigoros „durch“, ohne dabei weitere Überlegungen anzustellen oder weitere Rügen für den Betroffenen oder Diskussionen mit anwesenden Kameraden in Betracht zu ziehen. Denn nachdem er den Zeugen auf der richtigen Stube abgesetzt hatte, ließ er sofort wieder von ihm ab; das deutet ersichtlich darauf hin, dass der Soldat keine über den gegebenen Anlass hinausgehenden Maßnahmen treffen wollte. Gleichwohl war, wie die Truppendienstkammer zutreffend hervorgehoben hat, die Reaktion des Soldaten weder in irgendeiner Hinsicht zu rechtfertigen noch konnte er sich zur Entlastung insoweit auf eine gezielte Provokation oder auf Schwierigkeiten im Umgang mit Untergebenen (vgl. hierzu Urteil vom 24. Juni 1998 – BVerwG 2 WD 40.97 – m.w.N.) berufen. Unter diesen situativen Umständen sah sich der Soldat allerdings zu einer ihm nicht wesensgemäßen Spontanreaktion herausgefordert.

Hiervon kann allerdings nicht für ein – des Weiteren vorgeworfenes – Verhalten ausgegangen werden. Denn die Zeugen M. und Mü., denen der Soldat die aufgefundene Nässeschutzjacke zur Aufbewahrung übergeben hatte, hielten das Ansinnen des Soldaten zunächst für einen Scherz und gaben ihm durch ihre Nachfragen nochmals Gelegenheit, sein rechtsmissbräuchliches Verlangen zu überdenken und zu revidieren; davon machte der Soldat jedoch keinen Gebrauch, sondern konkretisierte seine Vorstellung, dem Verlierer der Nässeschutzjacke eine Spende „abzuknöpfen“.

Vor allem ist dem Soldaten zugute zu halten, dass alle angeschuldigten Vorfälle in eine Zeitspanne fielen, in der er außerordentlichen psychischen Belastungen ausgesetzt war. Während er sich in die für ihn fremden Verhältnisse am neuen Standort einarbeiten musste und sogleich mit erheblichem Aufwand bemühte, die von seinem Batteriechef und ihm selbst geforderte bzw. als wünschenswert angesehene Ordnung zu schaffen, war sein Chef nur wenige Tage im Standort anwesend, da er entweder an Lehrgängen teilnahm oder im Ausland eingesetzt war. Neben Anpassungsschwierigkeiten seiner Untergebenen an den neuen Führungsstil des Soldaten bestimmten noch personelle Querelen das Arbeitsklima in dem aus verschiedenen Truppenteilen zusammengelegten Bataillon. Dem Soldaten, der schon in verhältnismäßig jungen Jahren einen herausgehobenen Dienstgrad erreicht hatte, wurde in der Einheit von Anfang an signalisiert, dass er unerwünscht war. Nach seiner unwiderlegten, glaubhaften Einlassung hatte der Senat von folgender Einschätzung tatmildernder Komponenten eines vielschichtigen „Belastungssyndroms“ des Soldaten auszugehen:

1. einer zunehmend spürbaren „Spannungslage“ in der Einheit ab Mitte Oktober 1999, die nicht nur durch erhöhte dienstliche Belastung oder außerordentliche dienstliche Anforderungen begründet, sondern vor allem auch durch die Versetzung des Soldaten, der als besonders leistungs- und durchsetzungsfähiger Batteriefeldwebel ausgewiesen war, in einen Verband mit unterschiedlichen Interessengruppen bedingt war, einerseits den wehrpflichtigen Geschäftszimmersoldaten und andererseits den Portepee-Unteroffizieren, die sich bei der Nachbesetzung des Dienstpostens des Batteriefeldwebels übergangen fühlten, und die jeweils die Verwirklichung eigener Vorstellungen oder persönlicher Interessen gefährdet sahen;

2. einer psychischen Ausnahmesituation, die durch die Beobachtung des Soldaten ausgelöst und zunehmend verstärkt wurde, dass er auf Widerstand bei den Interessengruppen stieß, die ihn z.B. nicht nur bei der Veranstaltung eines geselligen Kameradschaftsabends bewusst „auflaufen“ ließen, sondern auch bei der von ihm veranlassten Vorbereitung des Truppenübungsplatzaufenthaltes „im Stich ließen“ bzw. nicht unterstützten, so dass die Vorbereitungen für das Batterieschießen bei Eintreffen der Einheit nicht getroffen waren, demzufolge er, der Soldat, die Umsetzung des Auftrages kurzfristig selbst übernehmen musste und völlig allein gelassen war; infolge dieser gegenläufigen Agitation sah sich der Soldat tatsächlich gehindert, den dienstlichen Auftrag zur Durchführung eines Übungsschießens der Einheit zeit- und sachgerecht zu erfüllen. Nach Beobachtung seiner Ehefrau hatte der Soldat seit dieser Zeit „das Lachen verlernt“, war im Unterschied zu der früheren dienstlichen Belastung in H. ständig frustriert und ein „anderer Mensch“ geworden;

3. dem sich verstärkenden Eindruck eines gegen ihn gerichteten „Mobbing“ aus der eigenen Einheit, ersichtlich, um seine Auftragserfüllung zu stören oder jedenfalls zu erschweren und ihn dadurch zu verunsichern bzw. zu demotivieren; vor allem litt er unter wiederholten Irritationen und Belastungen durch anonyme Drohanrufe in seiner Privatsphäre bis 24.00 Uhr oder ab 4.00 Uhr morgens, durch die sein Selbstverständnis und seine Selbstbeherrschung in zunehmendem Maße nachhaltig beeinträchtigt wurden.

Dies führte zu einer – auch für den Bataillonskommandeur sichtbaren – nervlichen Angespanntheit des Soldaten. Seine Versuche, die Hilfe seiner Vorgesetzten zu erlangen, hatten aber keinen Erfolg. Nach den Feststellungen des Truppendienstgerichts stand er – ohne die gebotene effektive Dienstaufsicht und Fürsorge seiner Vorgesetzten – einer „verschworenen Gemeinschaft“ allein gegenüber. Die Kammer konnte in ihren den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen nicht ausschließen, dass die Anfeindungen ein Ausmaß erreicht hatten, das sie als gezieltes „Mobbing“ qualifizierte.

Es ist in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung inzwischen anerkannt, dass sog. „Mobbing“, nämlich das systematische Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren von Beschäftigten untereinander oder durch Vorgesetzte (vgl. BAG, Beschluss vom 15. Januar 1997 – 7 ABR 14/96 – ), – über gewöhnliche, von jedermann zu bewältigende berufliche Schwierigkeiten hinausgeht und einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre und/oder Gesundheit des Betroffenen darstellen kann, der gegebenenfalls zu Maßnahmen, wie zum Beispiel einer Kündigung des Täters oder Schadensersatzansprüchen des Opfers berechtigt (vgl. dazu LAG Thüringen, Urteile vom 10. April 2001 – 5 Sa 403/00 – und vom 15. Februar 2001 – 5 Sa 102/00 – m.w.N.). Ungeachtet der zivilrechtlichen Folgen, die sich aus konkreten Umständen des Einzelfalles ableiten lassen, kann in disziplinarrechtlicher Hinsicht eine Zusammenschau mit sonstigen dienstlichen Erschwernissen ergeben, dass dem Soldaten sowohl eine seelische Ausnahmesituation als auch eine außergewöhnliche situationsbedingte Erschwernis der Erfüllung seines Auftrags im Sinne der o.a. Senatsrechtsprechung zuzubilligen sind (vgl. Urteile vom 15. Oktober 1986 – BVerwG 2 WD 30.86 – und vom 1. September 1997 – BVerwG 2 WD 13.97 – sowie vom 28. Januar 1999 – BVerwG 2 WD 17.98 – ). Unter solchen Umständen ist es nachvollziehbar, dass der Soldat, dessen Persönlichkeit erkennbar von seinem Temperament geprägt ist, dies in geringerem Maße als üblich zu zügeln vermochte, und gelegentlich übertrieben gereizt reagierte bzw. sich im Ton vergriff.

Des Weiteren sind zu Gunsten des Soldaten als persönliche Milderungsgründe seine herausragenden dienstlichen Leistungen sowie die ihm erteilten Auszeichnungen, die fünf förmlichen Anerkennungen, die insbesondere durch die Begründung der am 7. Juni 2002 erteilten förmlichen Anerkennung eine Nachbewährung aufweisen, die ihm anlässlich eines Hochwassereinsatzes verliehene Auszeichnung und seine tadelfreie Führung in und außer Dienst zu berücksichtigen. Vor allem hat der Soldat glaubhaft Reue gezeigt und sowohl in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung als auch in der Berufungshauptverhandlung ein sehr positives Persönlichkeitsbild geboten.

Unter Abwägung aller be- und entlastenden Umstände hat der Senat hier zur Ahndung des – vom Truppendienstgericht bindend festgestellten – Dienstvergehens keine Degradierung des Soldaten als „reinigende Maßnahme“ in Betracht gezogen, sondern lediglich die Verhängung eines Beförderungsverbots für die Dauer von zwei Jahren als tat- und schuldangemessen angesehen.

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https://dejure.org/2002,8551